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Lille

Auch was den hohen Norden angeht, sehen sich Frankreich und Deutschland verblüffend ähnlich: er wird verkannt, im besten Fall verspottet. Dabei ist Lille, an der Grenze zu Belgien gelegen und Hauptstadt von Flandern genannt, eine betörend schöne Stadt. Hier mischen sich die schönen Seiten der einen wie der anderen Kultur.

Lille ist eine alte Industriemetropole, eine sehr große Universitätsstadt (vier Hochschulen, mehr als 100.000 Studenten, umgerechnet jeder zweite Einwohner ist also eingeschrieben, allerdings ist die Stadt Zentrum einer weitaus größeren Agglomeration) und liegt an der Stelle, an der die Bahntrassen von Paris, London und Brüssel aufeinander treffen.

Eine wunderschöne Altstadt und Industrieschätze, köstliche Süßspeisen (Waffeln, Waffeln, Waffeln und Schokolade auch), französische Lebensart, ein sehr junges, kulturelles Leben und eine kaum zu übertreffende Erreichbarkeit lassen Lille zu einer der Topempfehlungen für kurze Wochenendtrips oder auch etwas längere Aufenthalte werden.

Musik liegt in der Luft. Das Palais des beaux-arts de Lille lädt Kunstfreunde aus der ganzen Welt ein. Lille ist ein Magnet für alle Bibliophilen. Es gibt eine Oper, eine alte Börse, in der Antiquare Schätzchen veräußern, eine der größten Buchhandlungen überhaupt befindet sich in Lille – und wer Klamotten shoppen möchte, muss nach Roubaix, ein Stückchen außerhalb, dort gibt eine etwas größere Sammlung Outlet-Shops (160 Läden auf zwei Komplexe verteilt).

Lille

Lille ©iStockphoto/Michael Vorobiev

Lille ist nämlich ursprünglich ein wichtiges Europäisches Textilzentrum. Über viele Jahrhunderte sorgten die flandrischen Tuchmacher dafür, dass ebenjener Wohlstand wuchs, den man noch heute der Altstadt ansehen kann. Entsprechend begehrt war die Stadt, die mehrfach ihre Zugehörigkeit wechseln musste und zu Zeiten Ludig XIV. in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Frankreich zugeschlagen wurde (ganz hörte das Gerangel noch lange nicht auf: sogar die Österreicher standen mal vor Lille).

In der Folge entstand die große Zitadelle, Anfang des 19. Jahrhunderts wurde Lille zu einem wichtigen Verwaltungssitz im französischen Norden, der Bergbau wurde immer wichtiger, die Region war eine Region der Malocher, der einfachen Leute und sie war häufig schneller als der Rest der Welt. Einen ersten sozialistischen Bürgermeister hatte Lille noch im 19. Jahrhundert. In den beiden Weltkriegen besetzten deutsche Armeen die Stadt.

Einer ihrer berühmtesten Söhne ist natürlich Charles de Gaulle: Kriegsgefangener im ersten Weltkrieg, Gründer des Freien Frankreich im Zweiten, Führer der Résistance, Präsident Frankreichs und Erbauer wichtiger Fundamente der heutigen EU. Sein Geburtshaus ist heute ein Museum und kann zu den üblichen Zeiten besichtigt werden.

2004 war Lille europäische Kulturhauptstadt, ein Projekt, das mit viel Hingabe und auch finanziellem Aufwand angegangen wurde und von dem manch einer behauptet, es habe das Image Lilles grundlegend verändert. Von der grauen Maus zur sexy Schnecke soll sie sich gemacht haben, was ein wenig seltsam klingt, weil die wahren Schönheiten dieser Stadt wesentlich älter sind als die Kulturhauptstadttitelvergabe.

Wer Lille einmal nicht sexy fand, hat nicht richtig hingesehen, ein Käffchen, Bierchen oder Weinchen auf dem Grand Place hätte sicher schon vor 2004 jeden trüben Blick geklärt, aber die Idee von 2004 wird weitergetragen: Lille 3000 ist ein dichtes kulturelles, sich wiederholendes Veranstaltungsprogramm.

Eine dringende Hingehempfehlung ist die Braderie de Lille, die große Braterei allerlei Schmankerl auf den Bürgersteigen der Stadt mit Flohmarkt – ein Erlebnis für den September. Auch noch sehenswert: die große Kathedrale des Erzbistums. Über Jahrhunderte wurde in Lille eine hölzerne Marienskulptur mit Kind verehrt, sie soll Wunder getätigt haben.

Durch die Jahre der Revolution musste sie gerettet werden, im 19. Jahrhundert begann man ihr dann eine ihr angemessene Kirche zu bauen. Der Bau ist eine eigenwillige Mischung aus Neugotik und Moderne, die Skulptur ist in den späten 50ern geklaut, ihr Heim aber 1999 fertig gestellt worden.

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